Ein Bericht über mein Auslandssemester in Örebro, Schweden.

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von und Sham Jaff
Schloss von Örebro

Was man vermisst und was nicht – ein Bericht über mein Auslandssemester in Örebro, Schweden. (Jewgeni Sadowski) Foto: © Wikipedia

Wenn man nach fünf Monaten Auslandssemester wieder zurück nach Hause kommt, ins traute Heim, und alles so vorfindet, wie man es vor der Abreise zurückgelassen hat, wird einem schlagartig bewusst, was für eine Zäsur da gerade im eigenen Leben stattgefunden hat. So war es zumindest bei mir, als ich am 18. Januar 2013 wieder in meine Wohnung im idyllischen Nürnberg-Laufamholz kam, kurz stockte und dachte: „Ist das alles wirklich passiert? War ich wirklich fünf Monate weg?“ Aber, ja, das war schon alles richtig so. Jetzt allerdings bin ich wieder hier, in Nürnberg, weit weg von Örebro, von Schweden, wo ich seit dem 23. August letzten Jahres ein Leben gelebt hatte, das, nun ja, „anders“ war.

Pissing Alien in Örebro Schweden

Foto: © Florian Plag / flickr (cc)

Als ich meinen Auslandsplatz erhalten hatte und es feststand, dass ich für ein ERASMUS-Semester in den hohen Norden nach Schweden gehen würde, kam natürlich neben dem ganzen organisatorischen Kram unweigerlich die Frage auf, was man sich denn von dieser Erfahrung erhofft. Was erwartet man, was will man im Ausland tun und erreichen? Lässt man sich von Artikeln wie dem auf „Zeit Online“ mit dem Titel „ERASMUS-Orgasmus“ schon einmal in das Flair des zukünftigen Lebens einführen (Ha!) oder fokussiert man sich gar auf das akademische, das mit so einem Aufenthalt ja auch irgendwie noch verbunden sein soll? Ich persönlich habe mich entschieden, es mit meinem 21 Jahre von mehr oder weniger großem Erfolg gekrönten Motto „Erstmal chillen“ zu versuchen und bin folglich mit keinerlei Erwartungshaltung nach Schweden gereist. Und es sollte sich herausstellen, dass das auch genau die richtige Approach… äh Herangehensweise war.

Als ich in der Orientierungswoche von einem meiner Fadder (Studenten, die die Austauschstudenten betreuen und ihnen während des Semesters helfen) gefragte wurde, was ich denn so in diesem Semester machen will, antwortete ich schelmisch: „I just wanna have fun.“ Kurz darauf war ich bereits sehr bemüht, die erste Wodkaflasche des Semesters aufmachen und kosten zu dürfen und war erfreut, dass ich mich hinsichtlich dieses Vorhabens schnell in Gesellschaft befand.

Alkohol! Wir haben getrunken.
Oft. Viel.

Alkohol. Ja, ich glaube, das ist so der erste Punkt, den man für jedes Auslands-, aber besonders für jedes ERASMUS-Semester hervorheben sollte. Wir haben getrunken. Oft. Viel. Und das obwohl in Schweden (sowie in Norwegen und Finnland) der Staat ein Monopol auf den Verkauf von Getränken mit einem Alkoholgehalt von über 3,5% besitzt und man somit jedes Mal extra zum staatlichen Monopolgeschäft Systembolaget (wörtlich wohl so etwas wie „Der Systembetrieb“) gurken muss, wo man sich mit horrenden Preisen konfrontiert sieht. Nur um ein Beispiel zu nennen: Eine Flasche Absolut Wodka, die im deutschen Einzelhandel für zwölf Euronen zu haben ist, kostet in Sverige umgerechnet derer 29. Überhaupt muss man sagen, dass das Preisniveau in Skandinavien…gelinde gesagt „höher“ ist als bei uns, aber das soll jetzt nicht Thema dieses Berichts werden. Jedenfalls kamen wir als ERASMUS-Studenten in unserer Gruppe mit circa 150 Leuten (inklusive Fadder) dann recht schnell in so einen Rhythmus des drei bis vier Mal wöchentlichen Weggehens und damit verbundenen Saufens. Auch im relativ beschaulichen Örebro (ca. 100 000 Einwohner) gab es, Gott sei Dank, genug Clubs, sodass man, je nachdem ob und wie lustig man war, dienstags, mittwochs, freitags und samstags fortgehen und sich je nach Spaß an der Freude passenderweise abschießen konnte. Wer jetzt aufschreckt und sich wundert, was denn dann mit den restlichen Wochentagen ist, dem sei versichert, es war irgendwie irgendwo immer noch genug Flüssiges übrig, dass man sich auch an „eventfreien“ Tagen standesgemäß einen oder eher mehrere hinter die Binde kippen konnte. Ich persönlich muss sagen, dass ich zwar immer wieder gut und gerne dabei war, aber gegen gewisse Kollegen aus Frankreich und Spanien, die es vorzogen jeden Abend eine Flasche Rum zu trinken oder auch aufgrund Zeitmangels (die Clubs bei uns machten schon um zwei Uhr zu, daher begann man gegen 20 Uhr mit dem Vorglühen, um dann zwischen zehn und elf in den Club zu gehen) zu exen, ziemlich alt aussah. Wobei ich nicht weiß, ob es, eitel wie ich bin, in meinem Interesse gewesen wäre, regelmäßig aus Clubs zu fliegen und öfters an einem Abend sämtliche ERASMUS-„Damen“ vorzugsweise oberkörperfrei und mehr sabbernd als sprechend anzugraben.

Dennoch ist im Grunde genommen so ein Leben natürlich erst einmal pervers geil, man ist nur am feiern, studiert kaum, hängt ständig mit coolen Leuten aus verschiedensten Ländern ab und genießt einfach die Zeit. Insofern habe ich Deutschland und Nürnberg eigentlich null vermisst, da ich viel zu beschäftigt mit der Party- und Eventplanung war.

Örebro Schweden bei Nacht

Foto: © Jonas Larsson / flickr (cc)

Auf der anderen Seite, jedenfalls ging es mir so, wird alles nach einer Zeit öde, wenn man es zu oft und zu exzessiv macht – und so war es bei mir auch mit der Partymacherei, die ich dann nach circa drei Monaten erst einmal auf ein „chilligeres“ Niveau zurückgefahren habe. In diesem Zusammenhang sehnte ich mich dann doch vielleicht ab und zu etwas nach der heimatlichen Normalität. Zweiter wichtiger Punkt meines und wahrscheinlich so gut wie jedes ERASMUS-Semesters ist Drama. Sex, Liebe, Skandale und alles was dazu gehört waren bei uns in Hülle und Fülle vorhanden und das so gut wie vom ersten Tag an. Ohne jetzt spezifisch und namentlich darauf einzugehen, wer mit wem, wie oft, wo und unter welchen Umständen geschlafen hat, kann ich grob sagen, dass die überwiegende Zahl von uns „ihren Spaß“ hatte und dieser Spaß in bestimmten Gruppen… nun ja, sagen wir inzestuöse Ausmaße erreichte. Will sagen: Jeder mit jedem und so. Es gab auf beiden Seiten des Geschlechts die üblichen Verdächtigen, bei denen man jeden Abend darauf wetten konnte, dass sie am nächsten Morgen wieder nicht alleine aufwachen würden, und so kam es dann meistens auch. Oftmals wurden auch gar nicht viele Worte ausgetauscht, sondern man begegnete sich im Club, schaute sich kurz an und ging dann schnurstracks zusammen nach Hause.

Also, ja im ERASMUS-Austausch ist das alles viel „lockerer“ und „einfacher“. Man muss aber eindeutig auch der Typ dafür sein, und auch hier gilt die Regel: Es ist suuuuuuper, aber irgendwann fängt’s dann doch an ein wenig zu nerven, wenn’s immer nur um die gleiche Scheiße geht. Auch hier ist das mit dem Nürnberg Vermissen bei mir unterschiedlich gewesen.

Idylle in Örebro Schweden

Foto: © Örebro kommun / flickr (cc)

Eigentlich habe ich mein Zuhause gar nicht vermisst, aber immer wenn ich mich beim Augenrollen über irgendwelche „Pärchen“ erwischt habe oder auch selbst in einer „mehr schlecht als rechten“ Lage war, dachte ich mir schon, dass ein bisschen Normalität auch mal nicht schaden könnte. Zumal ich mir, was das Thema Gerüchteküche und Gerede über Menschen anbelangt, ab und an schon vorkam wie entweder in der achten Klasse oder in der BILD-Redaktion. So schön und aufregend Partys und Drama auf Dauer auch sind, ich glaube das Schönste an meinem Auslandsaufenthalt, und auch der Punkt, bei dem ich noch weniger an daheim gedacht habe als sonst schon, war das Reisen. Jeder, der ein Auslandssemester (besonders in Skandinavien) macht, sollte auf jeden Fall vorher genug Geld zusammenkratzen, um dann möglichst viel in der Region herumzukommen. So habe ich es zumindest gemacht und dadurch einiges von Schweden und der gesamten Region gesehen. Dabei waren auch einmalige Trips wie das ESN Sea Battle (auf einem Dampfer mit 2500 ERASMUS-Studenten aus ganz Skandinavien und dem Baltikum von Stockholm nach Tallinn und zurück fahren… ihr könnt euch denken was dort bezüglich Alkohol & Sex so abgeht) und vor allem der Trip nach Lappland hintern Polarkreis ins Winterparadies – ein wirklich einmaliges Erlebnis mit allem was dazu gehört: Hundeschlitten und Schneemobil fahren, Rentierfleisch essen, im Schnee baden usw. Man nimmt viele Eindrücke mit, von Atmosphären, Kulturen und Menschen und das, so finde ich zumindest, erweitert den eigenen Horizont teilweise um einiges stärker als Studieren von irgendeinem theoretischen Zeug. Deswegen sollte man sich hier des Geldes nicht zu schade sein (dann lieber auf die eine oder andere Party verzichten) und Reisen so viel es geht und so sehr es die Zeit zulässt! Ich würde sagen, dass das jetzt so die wichtigsten Elemente meines fünfmonatigen Aufenthalts in Schweden waren.

Als ich so darüber reflektierte, um diesen – zugegebenermaßen frei-kreativ angefertigten – Bericht zu schreiben, wurde mir schnell klar, dass in dieser Zeit so unglaublich viel passiert ist, dass wenn ich auf alles eingehen wollte, auch gleich einen ganzen Enthüllungsroman schreiben könnte. Fakt ist: Es war eine grandiose, fantastische und erfahrungsreiche Zeit, die ich nie im Leben vergessen und von der ich noch lange zehren werde. Ich lege jedem ans Herz, auch einmal für ein oder zwei Semester ins Ausland zu gehen (am besten nach Schweden :P) und diese Erfahrungen für sich selbst zu machen. Mein persönliches Heimweh hat sich, wie gesagt, über die ganze Zeit hinweg in Grenzen gehalten, da ich, bewusst wie unterbewusst, einfach die Zeit genossen habe und Gedanken an Zuhause nur relativ selten aufkamen. Klar vermisst man Familie und Freunde und auch bestimmte Dinge hier in Deutschland, aber bei mir zumindest war dieses Gefühl nur schwach ausgeprägt, wohl auch weil ich mir sehr bewusst war, dass fünf Monate nun doch keine allzu lange Zeit sind und sie schneller vergehen würden als ich mich umschauen konnte. So war es dann letztendlich auch und daher musste ich auch mit den Tränen kämpfen, als ich meine Koffer auspackte und die ERASMUS-Flagge mit allerlei Widmungen und Unterschriften von Leuten aus Örebro erblickte.

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