Spannende Bücher, eine Nobelpreisträgerin und brisante Themen auf dem Literaturfestival 2017 in Bamberg
Aktualisiert am 04. Februar 2019 von Valerija Levin
Das Literaturfestival Bamberg geht in die zweite Runde und überrascht sein Publikum mit vielen neuen Autoren, spannenden Themen, tollen Kinderlesungen und natürlich lesenswerten Büchern. Wir ließen die angenehm intelligente Atmosphäre auf uns wirken, waren aufmerksame Zuhörer und sprachen u.a. mit Sharon Dodua Otoo und Thomas Kraft.
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Wer heutzutage einen Buchladen betritt und sich auf die Suche nach einem neuen lesenswerten Buch begibt, hat oft große Anforderungen an den Autor. Man will überrascht und begeistert, informiert und unterhalten werden und vor allem spielen in diesem Jahr Aktualität und Thema eine wichtige Rolle. Der Leser von heute ist kritisch und anspruchsvoll und kann gute Literatur von Regalstaubfängern sehr wohl unterscheiden. Oft wird davon gesprochen, dass man in der jetzigen Zeit weniger liest, dass Bücher durch Internet und Fernsehen ersetzt werden und die Krise der Literatur und Printmedien im Anmarsch ist, doch die Organisatoren des Literaturfestivals in Bamberg sind davon überzeugt, dass man das stille Medium „Literatur“ einfach richtig rüberbringen muss: Mit viel Kreativität und Mut, sodass jedes Buch ein einprägsames Erlebnis bleibt.
Man(n) macht Protest
Es ist Donnerstag, der 09.02., kurz vor Acht und wir drängeln uns durch die Menge der wartenden Zuschauer, in Richtung Hegelsaal in der Konzerthalle Bamberg. Heute ist Wolf Biermann zu Gast beim Literaturfestival, Liedermacher und Lyriker, scharfer Kritiker der DDR und der SED und Ehrenbürger Berlins. Seine Lieder wurden von Marcel Reich-Ranicki gelobt, sein Name oft mit einem fast heroischen Beitrag zur Wende in Deutschland in Verbindung gebracht. Wir erwarten großes und sind überrascht, als wir einen kleinen, dezent gekleideten Mann mit großem grauem Schnauzbart auf die Bühne kommen sehen. Er wirkt etwas verlegen, hat traurige Augen und trägt dasselbe dunkelblaue Hemd, wie auf dem Cover seiner 2016 in Berlin erschienenen Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“, aus der an diesem Abend gelesen wird. Doch der erste Eindruck täuscht. Kaum lässt man ihn zu Wort kommen, umspielt ein schelmisches Lächeln seine Mundwinkel und nach kurzer Überlegung erzählt er eine Geschichte nach der anderen, zahlreiche Anekdoten, die das Publikum dazu bringen, zu lachen, nachdenklich zu werden, sich an Vergangenes zu erinnern und vielleicht sogar ein klein wenig traurig zu sein. Wolf Biermann erzählt an diesem Abend spannend und ehrlich von seiner Kindheit, einem kleinen Jungen, „der sechseinhalb Jahre alt war – und auch in gewisser Weise so alt geblieben ist“, von seiner Jugend und patriotischen Begeisterung für den Kommunismus, von seinem ersten Widerstand gegen die Regierung, von seinem Vater, der als KZ-Häftling ermordet wurde und einer Mutter, die stets hinter ihm stand. Mit 16 ging er in die DDR und fühlte sich „…wie ein Geisterfahrer, dem alle entgegenkamen, während er sich darüber wunderte…“. Mit seinen Gedichten wollte er die Menschheit retten, doch schnell wurde er in seinem Glauben an die Partei enttäuscht und sein Mut zur Meinungsäußerung gestärkt. Zu Beginn seines Studiums gelang er in den Sog des Berliner Ensembles und fing an, Liedtexte zu schreiben. Schon kurze Zeit später fiel er mit diesen in Ungnade beim Politbüro. W. Biermann wurde zum Dichter und Konterrevolutionär ernannt.
Mit seinem neuen Buch stellt sich der Liedermacher seiner Vergangenheit, er arbeitet schöne, aber auch schwere Momente seines Lebens auf und das nicht nur beim Schreiben, sondern auch während jeder Lesung aufs Neue. Manchmal wirkt Biermann selber überrascht über seine eigenen Worte, während er dem vorlesenden Schauspieler lauscht, der Auszüge aus seinem Buch vorträgt. So, als würde er sich fragen: „Ist all das wirklich mir passiert?“. In anderen Momenten lacht er auf, unterbricht und schmeißt mit Witzen um sich, wie ein deutscher Bukowski. Selbstsicher, bekennend und sogar etwas narzisstisch. Doch vor allem erzählt er malerisch und unglaublich ehrlich, wobei er jeden einzelnen Zuschauer in seinen Bann zieht. Und während er so über die Bühne stolziert, wandert unser Blick über das Publikum, die weit aufgerissenen beeindruckten Augen derjenigen, die wissen, wovon er spricht, weil sie es selbst gelebt haben.
Aus kleinen Geschichten Großes machen
Die nächste Lesung, die wir ein paar Tage später besuchen, fällt kleiner aus. Sie findet in der Buchhandlung und dem Medienhaus „Hübscher“ statt. Dort erwartet man Saša Stanišić, einen jungen Autor aus Hamburg, der 2014 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt für seinen zweiten Roman „Vor dem Fest“. Er wurde 1978 in Bosnien geboren und flüchtete dann mit seiner Familie nach Deutschland. Hier bemerkte ein Deutschlehrer sein Talent zum Schreiben und förderte ihn. Redegewandt erzählt er in seinen Büchern Geschichten vom Anderssein, vom Komisch-Sein, von der Flucht vor der Realität – hinter jedem seiner Protagonisten verstecken sich wilde, urkomische, aber auch tiefsinnige Geschichten.
Saša schreibt gerne fiktionale Erzählungen und sieht in der Recherche ein Mittel zum Zweck. Sein Talent ermöglicht es ihm mit sehr viel Humor alltägliche Situationen auf eine geniale Art und Weise so detailreich zu beschreiben, dass man sie immer und immer wieder aufs Neue lesen will und sich auch der eine oder andere wiedererkennen mag. Zu seinen Lieblingsthemen gehören die „Überforderung“ und die „Überforderung der Menschen mit einer bestimmten Situation“, und so finden sich seine schrägen Figuren immer wieder in unlösbaren Verstrickungen wieder, aus denen sie sich dann herauswinden müssen. In seinem neuen Erzählungsband „Fallensteller“ lernt man Menschen aus einer selten amüsanten Perspektive kennen.
Wir lieben seine Lesung, er wirkt unglaublich authentisch, jung und voller schaffenslustiger Kraft. Auch die Stimmung im Publikum lässt Ähnliches vermuten. Saša Stanišić erzählt währenddessen vom Fußball, von Lothar Matthäus und davon, wie er das Dorf fand, das er selber in seinen Geschichten erfunden hatte.
Literatur als „stilles“ Medium
Am Freitag dürfen wir dann das Interview mit Dr. Thomas Kraft führen, der für das Programm, die Organisation und Presse bei dem Literaturfestival 2017 zuständig ist. Er gibt uns Informationen darüber, wie so ein Programm beim Literaturfestival entsteht und nach welchen Kriterien Autoren und Location ausgewählt werden.
Kraft: „Bühnen wollen zu den Autoren passen, da beziehen wir uns natürlich auch auf die erwartete Zuschauerzahl. Die Räumlichkeiten dürfen nicht zu klein sein. Wichtig ist die Atmosphäre: Manchmal wagen wir ein Experiment und setzen einen seriösen, nicht ganz jungen Autor in einen Raum, wo normalerweise etwas jüngeres Publikum zu erwarten ist. Zur Auswahl der Autoren kann ich nur sagen, wir bemühen uns darum die wunderbarsten verfügbaren Autoren nach Bamberg einzuladen. Manche Autoren, wie beispielsweise Martin Suter, sind dann schwerer für unser Festival zu gewinnen und erfordern die richtigen Kontakte. Natürlich müssen diese Lesungen dann auch sehr gut besucht sein, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden. Wir versuchen ein sehr breit gefächertes Programm anzubieten und sind frei in unserer Gestaltung. Vor allem die Kinderlesungen, die nach Wunsch von Paul Maar alle kostenlos besucht werden können, erfordern deshalb ein besonderes Interesse und sind auch sehr gut besucht.“
Bei den Lesungen fanden wir uns stets in einem dichten Gedränge vor, es blieb nie ein Platz frei, doch uns fiel auch auf, dass nur sehr wenige junge Menschen, etwas im Studentenalter, im Publikum zu finden waren. Auch darauf sprechen wir den Festivalorganisator an. Da das Gerücht der aussterbenden Literatur und Lesergeneration beim Thema Literaturfestival nicht zu vergessen ist, fragen wir Thomas Kraft nach seiner Meinung und sind überrascht! Anscheinend ist doch Vieles nicht ganz so schlimm in der Literaturwelt und es besteht weiterhin Hoffnung, dass Literatur ein wichtiges Medium bleibt und nicht von der Bildoberfläche verschwindet.
Kraft: „Gelesen wird auch heutzutage noch viel, aber es hängt von den Büchern und dem sozialen Umfeld ab. Lesen die Eltern, so lesen auch meistens die Kinder. Doch wenn im Elternhaus kein Bücherregal vorzufinden ist, so werden auch die Kleinen meistens keine Leidenschaft für Literatur hegen. Zumindest ist dies der Normalfall. Auch aus diesem Grund sind unsere Kinderlesungen kostenlos und können von jedermann besucht werden. Wir wollen das Lesen unter Kindern und Jugendlichen fördern. Bei den Erwachsenen herrscht meistens der Fall vor, dass Frauen mehr lesen als Männer, deshalb ist viel Literatur, meistens Romane, etc. auf Frauen ausgerichtet. Dass weniger junge Leute zu den Lesungen kommen, liegt nicht daran, dass weniger gelesen wird, sondern weil Literatur ein stilles Medium ist. Und so geht man dann eher zu Slams oder Konzerten, als zu Lesungen und Vorträgen.“
Zum Schluss erklärt uns Herr Kraft, dass das Festival auch dazu dienen soll, aktuelle Thematiken anzusprechen. Es gibt eine breite Palette an Diskussionen, die auf der Bühne geführt werden und Autoren mit verschiedenem Hintergrund und verschiedenen politischen oder sozialen Einstellungen.
Identitäten und komische Fragen
Sharon Dodua Otoo und ihre Bücher „Herr Gröttrup setzt sich hin“ und „die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle“ – das erwartet uns am Freitag, den 17.02., im Bistumshaus St. Otto in Bamberg. Und es wird zu unserem persönlichen Highlight. Diese Autorin strahlt eine unglaubliche Frauenpower aus und ist gleichzeitig ein Sonnenschein, der mit seinem Lächeln alle Leser und Zuschauer verzaubert. Und ja, vor allem die Frauen lieben sie! Denn mit ihren Büchern gibt sie Kraft und spricht mit einer Sprache, die nur Frauen wirklich verstehen können. In ihren Publikationen schildert Sharon Explosionen wie in Zeitlupe, man fühlt sich außerhalb der Zeit, als Beobachter und indirekter Teilnehmer der Geschichte. Sie spricht Themen, wie Mutter-Tochter-Beziehung, Diskriminierung und Rassismus an, aber auch Frauenunterdrückung. Vor allem das Wort „Identität“ trägt für die in Berlin wohnende, ursprünglich aus Ghana stammende, Autorin eine große Bedeutung. 2016 wurde sie für „Herr Gröttrup setzt sich hin“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet.
Die Stimmung im Saal ist an diesem Abend etwas angespannt. Der Grund: Die Moderation von Tanja Kinkel. Hinter der vorgehaltenen Hand wird im Publikum gelacht und geschmunzelt, etwas später jedoch vor Empörung heftig diskutiert. Tanja Kinkel erzählt viel, von der Welt und sich selber, doch vergisst leider ab und zu, dass dies ja eigentlich die Lesung von Sharon Dodua Otoo ist, somit ist dieser Abend nicht weniger auch ihr gewidmet. Und ab und zu gibt es dann auch Zeit für Sharon ein paar Fragen zu beantworten, die jedoch schnell in Richtung allgemeiner Floskeln zum Thema Hautfarbe ausarten, sodass das Publikum nur noch fragend die Augenbrauen hochzieht und sich wundert. Wir wissen nicht, woran es liegt – mangelnde Vorbereitung oder fehlendes Verständnis – doch wir sind froh, als sich uns im Nachhinein die Möglichkeit bietet Sharon ein paar Fragen zu ihrem Leben und ihrer Literatur zu stellen.
Sharon, du thematisierst in deinen Geschichten oft Frauenbilder und –schicksale, bist auch selber Aktivistin, wofür setzt du dich ein und wie stehst du zu Frauen, die sich heutzutage freiwillig von Männern bzw. der Männergesellschaft unterdrücken oder sich grundlegende Rechte nehmen lassen?
Sharon: „Ich setze mich vor allem gegen Rassismus ein. Natürlich auch dem gegenüber Frauen. Unterdrückung ist ein interessanter, aber auch schwieriger Begriff, doch ich bin der Meinung, dass die eine Erdrückung gegen eine andere Art von Erdrückung ausgetauscht werden kann. Dies ist vom Menschen abhängig. Ein Kopftuch zu tragen, heißt nicht automatisch, dass man unterdrückt wird oder seiner Rechte bestohlen. Und kein Kopftuch zu tragen bedeutet nicht, dass man absolut frei ist. In der heutigen Welt müssen die Menschen vor allem lernen, Erdrückung mit dem richtigen Ansatz zu verhindern. Denn das Verbot von Verboten führt zu nichts. Es braucht eher eine zielgerichtete Aufklärung.“
Du bist eine Frau mit viel Power, die diese Kraft auch in ihre Texte packt und damit viele Leser und Kritiker begeistert. Was würdest du einer Frau von heute, einer modernen und selbstständigen Frau auf den Weg geben? Welche Eigenschaft wäre heutzutage von großer Bedeutung?
Sharon: „ Hmm…die jetzige Zeit hat ja viel mit Individualität zu tun. Vor allem für die jungen Leute. Jeder MUSS individuell sein. Individuelle Klamotten und Look, individuelle Sprache, individueller Lifestyle und individuelle Ansichten. Alles muss noch mehr auffallen, jeder noch krasser auftrumpfen. Vor allem in Städten wie Berlin kann man diese Entwicklung beobachten. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber ich glaube, es ist nicht immer das Richtige. Menschen müssen Netzwerke knüpfen können. Und Frauen brauchen Frauen, die zu ihnen halten, sie unterstützen und in schweren Situationen die helfende Hand reichen. Und ich glaube dieser Begriff des Zusammenhalts sollte nie vergessen werden, sonst ist jeder von uns irgendwann ziemlich allein.“
Das Beste kommt zum Schluss
Das Festival bietet auf jeden Fall viele tolle Lesungen und Momente und für jeden der Zuschauer gibt es ein persönliches Highlight, doch man trennt sich nur ungern vom Motto „Das Beste kommt zum Schluss“ und so reist am letzten Abend des Festivals, dem 18.02., die Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch höchstpersönlich aus Minsk ein zu ihrer Lesung im Spiegelsaal. Mit ihren Büchern schaffte sie ein neues literarisches Genre: dokumentarische Romane erzählt von einer Sammlung von Stimmen. Hierfür erhielt sie dann im Jahr 2015 den Nobelpreis für Literatur und entfachte unzählige Diskussionen zum Thema Politik und Literatur. So ist es natürlich kein reiner Zufall, dass genau in diesem Jahr der Ukraine-Konflikt das Thema Nummer Eins in den Nachrichten war, doch ist dies, wenn auch eine mögliche politische Geste, doch nicht der wichtigste Grund für den Preis. Swetlana A. hat ein unglaublich weitreichendes Lebenswerk geschaffen und mit ihrer Einstellung zum Konflikt und der Korruption in ihrem Heimatland, gibt sie anderen Autoren den Mut dazu, sich frei zu äußern. Seine Meinung nicht zu verbergen oder sich gar kaufen zu lassen. Denn wenn Literatur von der Politik beherrscht wird, gibt es kein Recht auf freie Meinung in einem Land, sodass der Fortschritt sich zum Rückfall wandelt und man sich dort wiederfindet, wo Menschen schon vor fast 80 Jahren standen. Höchst brisante politische Fragen werden an diesem Abend aufgegriffen und Swetlana beantwortet sie alle mutig, ehrlich und scheut nicht vor Kritik zurück. Eine Ehre, dass diese Frau sich im Anschluss an die Lesung noch ins “Goldene Buch“ Bambergs eintragen darf.
An diesem Abend verlassen wir den Saal und das Festival mit einem Gefühl des Bedauerns. Schade, dass das Festival vorbei ist! Wir haben sehr viele interessante, intelligente und vor allem bedeutende Menschen getroffen, bedeutend sowohl für die Literatur, als auch für die Gesellschaft. Denn was wäre die Gesellschaft schon ohne Literatur? Ohne Menschen mit Kritik, mit einer Meinung, jemandem, der aus winzigen Details unglaubliche Geschichten spannen kann, oder einfach nur das schreibt, was er gerade denkt. Lesen macht uns zu dem, was wir sind und was wir nicht vergessen dürfen! Danke liebes Bamberger Literaturfestival 2017! Wir freuen uns schon auf nächstes Jahr!