Wollen wir überhaupt Innovationen? - Ein Gespräch zwischen zwei Innovationsexperten

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von
Ich bin so wütend, ich habe mal ein Plakat gemacht

Sind wir in Deutschland überhaupt innovativ? Wollen wir es überhaupt sein? Oder weigern wir uns Neues anzunehmen! Ein Gespräch unter Innovationsexperten. Foto: © Ruben Nitsche / flickr (cc)

Sind wir in Deutschland und in der Region überhaupt interessiert an Innovationen? Innovationen verändern unseren Alltag und sind somit der Grund dafür, dass jeder sein Verhalten immer wieder von Neuem hinterfragen muss. Das schafft Unsicherheit bei den Betroffenen. Sind wir überhaupt bereit für Veränderungen? Im Gespräch gehen die zwei Innovationsexperten Tim Schikora und Markus Wolf der Sache auf den Grund.

Portrait Markus Wolf Markus Wolf / Innovationsmamanger für Online-Technologien, Online-Produkte & Publishing
Portrait Tim Schikora Tim Schikora / Geschäftsführer Insight Innovation, Berater für Großkonzerne & Mittelständler
Portrait Markus Wolf

Wollen wir Menschen überhaupt Innovationen? Oder ist uns jede Veränderung zuwider! Es wird überall erzählt, dass wir innovativer sein müssen, aber trotzdem bewegt sich wenig, es wird noch viel zu wenig umgesetzt.

Portrait Tim Schikora

Die Antwort ist zweigeteilt. Zum einen haben wir die ganzen Marketingversprechen satt, die uns ein banales Feature als DIE Innovation verkaufen wollen. Das ist der Glaube an das Wachstumsdenken und da werden wir immer kritischer. Zum anderen gibt es Dinge, die unseren Alltag massiv verbessern oder ein Problem grundlegend lösen, das ist Innovation und das interessiert uns wirklich.

Portrait Markus Wolf

Also dann eher der idealistische Ansatz, eine Art Weltfrieden oder Weltverbesserung?

Portrait Tim Schikora

Ja, theoretisch idealistischer, denn Menschen, die mit Leidenschaft an einem Thema arbeiten tun dies um eine bessere Zukunft zu schaffen. Als Innovator bist du recht schnell genervt von Dingen, die nicht auf Anhieb funktionieren. Der Wunsch, sich mit durchdachten Dingen zu umgeben ist groß. Davon sind wir aktuell aber noch weit entfernt. Der Nutzen muss für den Kunden offensichtlich sein. Und ist es nicht faszinierend, dass die klügsten Menschen gerade an den kleinsten Problemen arbeiten?

Ein super Beispiel für eine gelungene Innovation ist die Toilettenschüssel. Die Erfindung hatte massive Auswirkungen auf unsere Lebenserwartung, Hygiene und unseren Lebensstandard. Innovationen finden auf der ganzen Welt statt, auch und gerade in Entwicklungsländern.

20 % der Internetsurfer in Afrika sind mobil, in Asien 14 % und in Europa nur 4,2 %.
Portrait Markus Wolf

Beispiel Entwicklungsländer: dort wurde der Festnetzanschluss zur Kommunikation nahezu komplett übersprungen und fast jeder benutzt mittlerweile ein Mobiltelefon, zwar ältere Modelle, aber dort haben sich ganze Infrastrukturen entwickelt, die SMS als Basis für die Funktionalität nutzen.

Portrait Tim Schikora

Genau. Und manchmal werden gerade auf Grund der knappen Ressourcen Innovationen geboren, die dann auch den Weg zu uns finden. In unserer Region gab es zwischen 1890 und 1960 die meisten Innovationen, denn in dieser Zeit war die Aufbruchsstimmung am größten. Ein improvisiertes Arbeiten war verbreitet und erst mit der Zeit stieg die Formalisierung der Arbeit an. Dadurch gingen dann auch die Innovationen wieder zurück.

Portrait Markus Wolf

Vielleicht kann man sogar noch weiter zurückgehen. Siemens wurde 1847 in Berlin gegründet, Klett & Comp (MAN) 1841 in Nürnberg und das Fahrrad 1862 in Paris erfunden. Es war die Zeit der Vor- und Frühindustrialisierung. Menschen waren gezwungen umzudenken und sich neu zu orientieren. Das hat viele Erfinder auf den Plan gerufen und jede Menge neuer Ideen entstehen lassen. Könnte man daraus den Schluss ziehen: Je besser es den Menschen geht, desto weniger innovativ sind sie – sind wir jetzt innovationsmüde? Liegt es vielleicht auch an einer überalterten Gesellschaft, dass die Akzeptanz für das Neue abnimmt?

Portrait Tim Schikora

Ich glaube nicht, dass wir innovationmüde sind, sondern produktmüde – kommerzmüde. Sind wir doch mal ehrlich: Wer braucht denn schon wieder ein neues Smartphone, dass jetzt vielleicht 3 Gramm weniger wiegt und aus einem anderen Material besteht. Wirklich elementar ändert sich dadurch doch nichts.

Portrait Markus Wolf

Ja und dabei werden die eigentlichen Bedürfnisse und Wünsche der Konsumenten immer weniger durch den Markt wahr genommen. Die Hersteller befinden sich so fest verankert in ihren Denkstrukturen einer angeblichen Verbesserung, dass sie den Kundennutzen ganz aus den Augen verlieren.

Portrait Tim Schikora

Stimmt. Wir sind eben nicht innovationsmüde, sondern kommerzmüde.

Portrait Markus Wolf

Nehmen wir doch mal an wir bekämen jetzt sofort das selbstfahrende Auto. Würden wir es bejubeln?

Portrait Tim Schikora

Nun, es würde ein so extremer Fortschritt sein, der elementare Auswirkung auf unser Leben hätte. Ein ebenso gutes Beispiel ist das iPad. Es hat bis 2014 gebraucht, um ein Produkt zu schaffen, das handlich und schnell genug ist und von der Gebrauchstauglichkeit her passt. Es erfüllt seinen Zweck. Das erste iPad war aber nicht so. Daher brauchen wir auf jeden Fall diese Entwicklungsschritte hin zu einer Produktverbesserung, aber das sind eben keine Innovationen. Ob die Überalterung der Gesellschaft einen entscheidenden Einfluss auf die Innovationsfähigkeit hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen.

Portrait Markus Wolf

Vielleicht fehlt es an Innovationen, die genau diese Altersgruppe ansprechen. Ich denke, es wird ganz automatisch zu Veränderungen kommen, die für ältere Menschen gemacht sind und sich dann vielleicht auch bei den Jüngeren durchsetzen.

Portrait Tim Schikora

Ja, denn bei älteren Menschen muss der Nutzen noch besser herausgestellt werden. Die Hürde ist meist größer als bei Jungen, aber sinnvolle Innovationen werden sich trotzdem durchsetzen.

"Der Konservative wird niemals Held oder Märtyrer sein" (Die Zeit)
Portrait Markus Wolf

Stimmt, denn wie viele nutzen heute schon Smartphones? Die Geräte sind beliebt bei Jung und Alt. Technikverweigerer gibt es in allen Bevölkerungsschichten.

Wenn wir zurück blicken, Widerstände gegen das Neue gab es schon immer. War es im 15. Jahrhundert der Buchdruck, so ist es heute das Internet. Nur heute versucht man es nicht nur schlecht zu reden, sondern Gesetze und Verordnungen sollen helfen die Umsetzung des Neuen zu vermeiden oder zumindest hinauszuschieben.

Portrait Tim Schikora

Früher sind Menschen sogar für Innovationen gestorben. Ich denke, diese Reaktionen gab es schon immer und sie sind weniger am fehlenden Innovationswillen verankert, sondern hängen eher mit dem Status zusammen, den sich bestimmte Menschen erarbeitet haben. Sie profitieren von der aktuellen Lage und möchten diese erhalten. Ein Beispiel ist Tesla. Der Autohersteller verkauft Autos direkt an Endkunden und geht nicht über Händler. Aktuell hat Tesla große Probleme mit Lobbyverbänden in den USA, die Tesla vorschreiben wollen, Händler für den Vertrieb einzubinden. Aber sind wir doch mal ehrlich: Macht es für den Kunden einen Unterschied wenn er das Auto direkt beim Hersteller kauft? Aber im Vergleich zum autonomen Fahren sind das kleine Veränderungen. Diese revolutionäre Innovation hätte so gewaltige Auswirkungen für uns alle und nicht nur für Taxifahrer und die Speditionsbranche.

Portrait Markus Wolf

Die Vorteile für die Gesellschaft wären immens. Das flüssigere Fahren, die Zahl der Unfälle würde stark sinken, fahrlässiges Fahren entfiele und man könnte während der Fahrt sogar noch etwas Sinnvolles tun. Ganz zu schweigen vom reduzierten CO2 Ausstoß, dem Wegfall der Parkplatzsuche, den fehlenden Strafzetteln und der Zuverlässigkeit, wann und wie man am Zielort ankommt. Auch das Fahren wird unabhängiger. Der Einfluss der Tageszeit auf das Fahrverhalten würde enorm sinken. Diese Innovation würde die Gesellschaft extrem beeinflussen und viele Vorteile mit sich bringen, aber für einige eben auch Nachteile.

Portrait Tim Schikora

Es ist schon absehbar, dass in sieben bis zehn Jahren, diese Entwicklung am Markt angekommen sein wird. Beweis dafür ist, dass die heutigen Topmodelle auf Autobahnen schon teilweise autonom fahren können, mit Überholen und allem drum und dran. Das Problem ist heute nicht mehr die Hardware, sondern die Software. Wir werden, wie du es schon sagtest, dadurch enorm an Lebensqualität gewinnen.

Portrait Markus Wolf

… und natürlich darf man die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht vergessen. Auch von Seiten der Gesetzgebung sind Änderungen notwendig.

Portrait Tim Schikora

Das autonome Fahren wird eine klassische disruptive Innovation sein. Warum, haben wir ja jetzt ganz gut aufgezeigt. Das Problem ist aber, dass auf diese Innovation entsprechend reagiert werden muss. Entscheidungen müssen getroffen werden, denn eine disruptive Innovation setzt sich durch, ob wir nun wollen oder nicht. Je länger wir das ignorieren, desto härter treffen uns die Auswirkungen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, sonst ist in ein paar Jahren das Geschrei groß und keiner will es vorhergesehen haben.

Portrait Markus Wolf

Wir sind also nicht innovationsmüde, wir haben nur die Featuritis satt. Unser Problem sind die zu treffenden Entscheidungen, denn Veränderungen brauchen auch immer die passenden Rahmenbedingungen, also Entscheidungen.

Portrait Tim Schikora

Disruptive Innovationen setzten sich immer durch, da kann man machen was man will. Und je länger wir warten desto härter werden uns die Auswirkungen treffen. Wir halten uns häufig zu sehr mit dem Einzelschicksal auf und vergessen dabei das große Ganze, die Gesellschaft. Wir sollten die Situation doch eher nutzen und mit diesen Veränderungen experimentieren, herausfinden wie sie uns voran bringen.

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