Klassizismus im Kleid der Gotik: Das Pfarrhaus bei St. Johannis

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von und Sebastian Gulden und Stefan Schwach
Johannis Pfarrhaus

Dach und Giebel des Johanniser Pfarrhauses, von Südosten gesehen, 1905/1906. Foto: © Julian Blanckmeister (Leihgabe von Werner Jülka) (cc)

Nürnberg liebte die Gotik schon immer. Früher als in vielen anderen deutschen Städten erlebte der Stil im 19. Jahrhundert seine Wiedergeburt, wenn auch anfangs nur als schicke Hülle für konventionelle Fassaden.

Etwas abseits im Südosten des weltberühmten Johannisfriedhofes steht das frühere Pfarrhaus der Johanniser Kirchengemeinde. Bis zur Fertigstellung der Friedenskirche am Palmplatz 1928 war die Johanniskapelle die evangelisch-lutherische Pfarrkirche des Stadtteils. Nur wenige Touristen verirren sich heute hierher, obwohl das 1864 durch den Bauunternehmer Carl Bayerlein errichtete Gebäude eine Rarität in Nürnbergs Architekturlandschaft darstellt. Es stammt aus einer Zeit, in der man die Kunst der Gotik neu entdeckte und romantisch auflud. Nur ganz wenige Denkmale dieser Epoche sind in Nürnberg erhalten geblieben. Fast alle sind Neubauten oder Krieg zum Opfer gefallen. Das größte frühe Monument der Neugotik in der Stadt – der alte Centralbahnhof – musste im Jahre 1900 für den heutigen Hauptbahnhof fallen.

Das Pfarrhaus bei Sankt Johannis, zwischen 1905 und 1906 und 2016.

Das Pfarrhaus bei St. Johannis, 1905/1906 und 2016. Fotos: © Julian Blanckmeister (1905/1906, Leihgabe von Werner Jülka) – Sebastian Gulden (2016) (cc)

Entwerfer des Pfarrhauses war der Baumeister Carl Bayerlein. Die Fassaden des Pfarrhauses mit ihren gotischen Spitzbogenfriesen, -blendfeldern und -fenstern und Vierpässen sind der Blickfang, während sich dahinter ein konventionelles Gebäude in klassizistischer Manier befindet: streng symmetrisch mit gleichförmigen Fensterachsen und Mittelgiebeln. Die Gotik ist hier im wahren Sinne des Wortes „nur Fassade“. Es sollte noch rund 20 Jahre dauern, bis auch in Nürnberg Neubauten entstanden, die nicht nur äußerlich gotisch aussahen, sondern auch die Entwurfspraxis des Spätmittelalters mit ihren malerisch-asymmetrischen Fassaden und ihrer funktionsorientierten Innenaufteilung wieder aufgriffen.

Muttergottes mit Jesuskind an der Westfassade, 2016.

Muttergottes mit Jesuskind an der Westfassade, 2016. Foto: © Sebastian Gulden (cc)

Die etwas seltsam anmutende Lage des Pfarrhauses auf einem schmalen Streifen zwischen der Lindengasse und der Straße Am Johannisfriedhof hat übrigens historische Gründe: Schon im 17. Jahrhundert befand sich in dieser „Sandwich“-Lage ein Gebäude – das „Schießhaus bei St. Johannis“. Hans Bien zeichnete es als langgestrecktes, dreigeschossiges Anwesen mit Krüppelwalmdach, einem Risalit an der Ostseite und einem schlanken Treppenturm mit Spitzhelm. Hier wurden die Bürger von St. Johannis ab 1462 im Gebrauch von Schusswaffen unterwiesen, um im Kriegsfalle an der Verteidigung der Reichsstadt Nürnberg mitwirken zu können. 1856 mussten die Schützen ihr angestammtes Heim verlassen – die Ruhe des Friedhofes und des Gottesdienstes auf dem Nachbargrundstück waren vor Gericht als gewichtiger erachtet worden.

Noch heute steht der massive Sandsteinbau des Pfarrhauses fast so da wie vor über 150 Jahren; bereits seit den 1970er Jahren ist er in der Bayerischen Denkmalliste vertreten. Ein paar Verluste hat es allerdings gegeben: Die seitlichen Giebel etwa hat man später, vielleicht nach einem Kriegsschaden, vereinfacht. Erhalten ist auch eine farbig gefasste Marienfigur mit Jesuskind an der Westfassade, ein Motiv, das man an eher an katholischen Pfarrhäusern erwarten würde.

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