Klassizismus in Serie: Die Lindenaststraße 58 und ihre Nachbarn

Aktualisiert am 04. Februar 2019 von
Lindenaststraße 58

Charmante Serienproduktion: Die Erker der Häuser Lindenaststraße 58 bis 64 (von rechts nach links). Foto: © Sebastian Gulden (cc)

Architektur in Serie gab es schon vor über 100 Jahren. Sie sparte Geld und sah – einen verständigen Planer vorausgesetzt – dabei auch noch hübsch aus. Ein sehenswertes Beispiel gehobener Wohnkultur haben wir im Nürnberger Maxfeld entdeckt.

Wer aufmerksam durch die Lindenaststraße im Maxfeld, genauer durch den Abschnitt zwischen Maxfeld- und Löbleinstraße schlendert und den Blick über die Fassaden schweifen lässt, der könnte glatt an ein Déjà-vu glauben: Gleich vier nahezu identische Fassaden säumen die Straße, drei auf der nordöstlichen und eine auf der südwestlichen Seite.

Chic in Serie

Die streng symmetrisch gegliederten Fronten der Hausnummern 58 bis 64 besitzen allesamt ein Erdgeschoss mit Rustika-Mauerwerk, einen von Pilastern und Balustraden geschmückten Kastenerker mit bekrönendem Balkon und Fenster mit waagrechten Verdachungen und Dreiecksgiebeln. Dem Haus Nr. 65 spendierten die Entwerfer zusätzlich ein Zwerchhaus auf dem Dach. Der typische Nürnberger Burgsandstein der Schmuckteile setzt sich dabei wirkungsvoll von den Wänden aus gelbem Greppiner Klinker ab, der als besonders wetterfest und langlebig galt (wie man noch heute sieht, zu Recht).

Dieser spätklassizistische Chic in Serienproduktion sparte Geld und verlieh dem Straßenzug einen städtebaulichen Zusammenhang. Die Urheber des Ensembles sind der Bauherr und Maurermeister Christian Ros und das Bautechnische Büro Ochsenmayer & Wißmüller, die die Häuser in den 1890er Jahren planten und erbauten.

Kriegsversehrt

Das Haus mit der Nr. 58, vollendet 1895, wurde im Zweiten Weltkrieg ordentlich lädiert. Mit Schäden an der Südfassade und dem Dach kam es aber verhältnismäßig glimpflich davon, wenn man bedenkt, dass bei Kriegsende weite Teile des Maxfeldes einer Trümmerwüste glichen. In den 1940er bzw. 1950er Jahren wurden die beschädigten Fensterrahmungen in den Obergeschossen sauber abgeschlagen, das Traufgesims in alter Form erneuert. Nur auf den Balkon mussten die Mieter im obersten Stockwerk fortan verzichten.

Das Haus Lindenaststraße 58, aufgenommen zwischen 1905 und 1909 und 2016.

Das Haus Lindenaststraße 58, 1905/1909 und 2016. Fotos: © Verlag August Unland (1905/1909) – Sebastian Gulden (2016) (cc)

Das Fingerspitzengefühl, mit dem man die Schäden an der Lindenaststraße 58 ausbesserte, war (leider) nicht die Regel: Schon aus Mangel an Geld wählten viele Hauseigentümer auch bei kleineren Schäden allzu oft die Radikallösung, die da hieß: Runter mit dem (ohnehin als nutzlos empfundenen) Fassadenschmuck, Putz drauf, Anmalen, fertig. Die problematischen Ergebnisse, die dieser Pragmatismus gezeitigt hat, sind noch heute im Nürnberger Stadtbild allgegenwärtig.

Tragisches Schicksal

Wie die anderen Häuser, so ging auch die Lindenaststraße 58 bald nach Baufertigstellung in andere Hände über. Hier erfüllte sich der Stuckbildhauer Friedrich Paul Schröck zusammen mit seiner Frau Marie und ihren Kindern den Traum vom Eigenheim mit Werkstatt und Vorhalle für das Arbeiten im Freien. Das handgemalte Firmenschild an der Hofzufahrt sollte in eine glänzende Zukunft weisen – doch alles kam anders.

Die spätklassizistischen Fronten der Anwesen Lindenaststraße 58 bis 64, von rechts an links, in der Totalen, 2017.

Die spätklassizistischen Fronten der Anwesen Lindenaststraße 58 bis 64 (von rechts an links) in der Totalen, 2017. Foto: © Sebastian Gulden (cc)

Friedrich Schröck nämlich war krank. Seit 1885 verbrachte er immer wieder mehrere Wochen oder gar Monate in den „Irrenanstalten“ zu Erlangen, Nürnberg und München-Neufriedenheim – auf Drängen seiner besorgten Familie und Freunde. Oft sprach er ohne Punkt und Komma, auch nachts, sang, schrie, schlug wild um sich, riss sich die Kleider vom Leib und schwelgte in absurden Größenphantasien. Die Diagnose: „periodische Manie“.

Sein Leiden heilen oder wenigstens lindern, das konnte damals niemand. Den Angehörigen, allen voran Ehefrau Marie und Schwester Käthe, die ihren Bruder zeitweise daheim pflegte, um ihm den Aufenthalt in der geschlossenen Anstalt zu ersparen, verzweifelten am Verfall des einst lebenslustigen und kreativen Bildhauers. Ein friedlicher Tod im vertrauten Umfeld war ihm nicht vergönnt: Friedrich Paul Schröck starb am 7. Juli 1917 in der Heil- und Pflegeanstalt Erlangen, besser bekannt unter ihrem Spottnamen „Hupfla“, im Alter von 63 Jahren.

Seine Werkstatt, die später der Stuckateur Konrad Stirmlinger übernahm, gibt es heute nicht mehr. Geblieben ist das Wohnhaus, das nach dem Krieg verständige Eigentümer gefunden hat, die jene klassizistische Grandezza zu bewahren versuchten, die sicher auch den Schröcks einst sehr zugesagt hat.

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